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Für den Fall, dass Sie ein bisschen warten müssen, finden Sie im Folgenden eine Rezension – zur Überbrückung und zur Unterhaltung.

 

Landraub, Kindesentführung und eine tödlich Abwärtsspirale

Von Kirsten Reimers

Drei sehr unterschiedliche, doch äußerst beeindruckende Kriminalromane von Oliver Bottini, Liza Cody und Dave Zeltserman

Mitte Januar 2018 wurde Oliver Bottini für seinen Roman „Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens“ mit dem 1. Platz des Deutschen Krimipreises in der Kategorie „National“ ausgezeichnet. Unprätentiös und mit viel Feingefühl erzählt Bottini darin von Landraub und den Auswirkungen der Globalisierung, davon, wie naOliver Bottini: Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens, Dumont 2017ch der Maueröffnung 1989 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern (und nicht nur dort) bei der Umwandlung von LPGs über den Tisch gezogen wurden, wie im heutigen Rumänien global agierende Agrarkonzerne Land zu überteuerten Preisen aufkaufen, sodass rund vierzig Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen nicht mehr in einheimischer Hand und die rumänischen Landarbeiter gezwungen sind, im Ausland Arbeit zu suchen.

Oliver Bottini schafft es, komplexe Zusammenhänge mit Leben zu füllen und im Alltag seiner Figuren spürbar zu machen: Michael Winter hat seine Familie verloren in einem verheerenden Autounfall, verursacht durch einen Sandsturm in Mecklenburg-Vorpommern aufgrund von Bodenerosionen; Jörg Marthen ist in den neunziger Jahren nach Rumänien ausgewandert, da er um seine Anteile an einer LPG in Mecklenburg betrogen wurde. Dort hat er einen Hof aufgebaut – doch die Konkurrenz ist groß: Um ihn unter Druck zu setzen, wird seine Tochter ermordet. Die Ermittlungen übernehmen die Kommissare Ioan Cozma und Cipria Rusu, die beide Ceauçescu gedient haben und sich heute vor den Ermittlungen des Institut für die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen fürchten.

Bottini verknüpft Weltgeschehen und persönliche Geschichte, erschafft Figuren mit viel Feingefühl für Tiefe und Verletztheit und vermeidet es zu moralisieren. So entsteht ein melancholischer Kriminalroman, der die Risse und Verwerfungen der globalisierten Welt spürbar macht, der das Ineinander von struktureller und individueller Gewalt verhandelt und bei aller Verzweiflung, die seine Figuren ausgesetzt sind, Platz für Hoffnung lässt. Das ist beeindruckend.

Selbstgespräche mit dem Teufel

Auf ganz andere Art beeindruckend ist der Kriminalroman „Krokodile und edle Ziele“ von Liza Cody. Wie schon im Roman „Lady Bag“ steht die Baglady Angela May im Mittelpunkt. Diese hat gerade eine Haftstrafe von mehreren Monaten abgesessen. Kurz bevor sie entlassen wird, verspricht sie einer Mitgefangenen, Liza Cody: Krokodile und edle Ziele, Ariadne/Argument 2017nach deren kleinem Sohn zu sehen, der bei der Großmutter untergebracht ist. Gar nicht mal so sehr, weil sie sich an ihr Wort gebunden fühlt, sondern eher weil sie nicht weiß, was sie sonst tun soll, sucht Lady B. den heruntergekommenen Londoner Wohnblock auf, in dem Oma und Enkel leben, sieht durch den Briefkastenschlitz das völlig abgemagerte und misshandelte Kind und beschließt zu handeln. Gemeinsam mit zwei Freunden startet sie eine völlig unüberlegte Rettungsaktion – bizarrerweise sind alle drei dabei als Nonnen verkleidet.

Das ist der Auftakt zu einem großen, turbulenten Chaos, erzählt in einem hohen Tempo mit aberwitzigen Wendungen und Ereignissen, bei denen öko-revolutionäre Wohnungsbesetzer, übergewichtige Rassisten, manipulative Vorstadtfrauchen und diverse andere schräge Typen eine Rolle spielen. Bei aller Erzählfreude und Komik verliert Liza Cody nie aus dem Blick, wer ihre Hauptfigur ist: Konsequent wird das Geschehen aus Sicht der schizophrenen alkoholkranken Obdachlosen Lady B. geschildert. Das ist nicht immer leicht auszuhalten, aber hervorragend gemacht. Cody gibt dem Leben in Obdachlosenunterkünften und auf der Straße ebenso Platz wie dem in schicken Londoner Vorstadtsträßchen. Und wo es unmenschlicher zugeht, ist nicht zu sagen. Kindesmisshandlung, Machtmissbrauch und Boshaftigkeit sind an keine Gesellschaftsschicht gebunden. Doch trotz des genauen und unerschrockenen Blicks in menschliche Abgründe ist „Krokodile und edle Ziele“ auch ein warmherziges Hoch auf die Freundschaft, die Ehrlichkeit und das Vertrauen.

Höllenritt

Ebenso wie Lady Bag ist auch der Protagonist von Dave Zeltsermans Roman „Small Crimes“ ein unzuverlässiger Erzähler. Anders als Lady B. liegt das aber nicht an alkohol- und krankheitsbedingten Aussetzern: Ex-Cop Joe Denton ist ein bewusster Manipulator. Anfangs Dave Zeltserman: Small Crimes, Pulp Master 207wirkt er noch ganz sympathisch: Nach acht Jahren Haft wird Denton entlassen. Er war damals in das Büro des Bezirksstaatsanwalts eingebrochen, um Beweismaterial zu vernichten, das ihn belastete, und hatte den Staatsanwalt schwer verletzt und entstellt. Jetzt, wieder in Freiheit, gelobt Denton, ein besserer Mensch werden zu wollen, um wieder Kontakt zu seinen Töchter zu finden. Doch in kürzester Zeit holen ihn alte Geschichten ein, alte Verpflichtungen zwingen ihn, Dinge zu tun, die er lieber vermeiden würde – doch egal, was er tut, die Lage verschlimmert sich immer weiter, immer tiefer versinkt Denton in Verbrechen und Gewalt.

Dave Zelterman lässt Denton das Geschehen aus seiner Sicht erzählen – und je mehr er erzählt, umso misstrauischer wird man als Leser: Wirkt der Mann anfangs ein wenig ungeschickt und etwas unbeherrscht, bröckelt nach und nach die Fassade des geläuterten Verbrechers bis zum völligen Einsturz. „Small Crimes“ ist ein Höllenritt durch die US-amerikanische Provinz, in der die Cops zutiefst korrupt, der Mafianachwuchs psychopathisch und der Erzähler ein Lügner ist. Tiefschwarz, hochamüsant, bitter böse und richtig toll.

 

Oliver Bottini: Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens
Dumont 2017
geb., 413 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-8321-9776-6

Liza Cody: Krokodile und edle Ziele
(Crocodiles und good intentions, 2017)
Aus dem Englischen von Else Laudan
Ariadne/Argument 2017
geb., 431 Seiten, 19 Euro
ISBN 978-3-86754-227-2

Dave Zeltserman: Small Crimes
(Small Crimes, 2008)
Aus dem Englischen von Michael Grimm und Angelika Müller
Pulp Master 2017
kart., 337 Seiten, 14,80 Euro
ISBN 978-3-927734-83-8